Liebe in Zeiten des Hasses by Florian Illies

Liebe in Zeiten des Hasses by Florian Illies

Autor:Florian Illies [Illies, Florian]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Fach-/Sachbuch
ISBN: 9783104913612
Herausgeber: Fischer e-books


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Auch Katia und Thomas Mann sind mittlerweile in Lugano in der sicheren Schweiz zwischengelandet, aber, wie ihre Tochter Erika schreibt: »flüchtig, unglücklich, ratlos«. Und auch sie treffen dort Hermann Hesse und seine Frau Ninon. Die Manns sehen Erich Maria Remarque, der aus Porto Ronco herüberfährt. Nur Bertolt Brecht wollen sie nicht sehen, er bittet um ein Gespräch, aber Thomas Mann mag gerade nicht.

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In die Riege der berühmten Männer von Alma Mahler-Werfel, also neben Gustav Mahler, Oskar Kokoschka, Walter Gropius und Franz Werfel, darf man auch einen fünften Herrn zählen, der sich durch zwei Eigenschaften besonders auszeichnet: Erstens ist er Priester und zweitens ist er 1933 Österreichs größter Experte für Ehenichtigkeitsprozesse. Das muss einen ungeheuren Reiz auf Alma Mahler-Werfel ausgeübt haben. Und als im März Franz Werfel zum Schreiben nach Italien fährt, da macht die 54-jährige Gattin ebenjenen 38-jährigen Johannes Hollnsteiner zu ihrem Beichtvater. Alma Mahler-Werfel gewinnt Freude an der Sündenschaukel des Katholizismus, aus dem beruhigenden Wechselspiel aus Sünde und Vergebung, und offenbar scheint dieser junge Augustiner, Chorherr des Stifts St. Florian, die ideale Person, um beides quasi gleichzeitig zu erledigen.

Ja, Alma Mahler-Werfel, die täglich leidet an dem, was sie an ihrem Gatten als jüdisch erkennt, verliebt sich sehr leidenschaftlich in ihren geistlichen Intimus. Sie schreibt in ihr Tagebuch: »Die unbegreiflich lange Nacht dieses Winters ist einem föhnigen Frühlingsahnen gewichen. Es ist kaum zum Aushalten!« Sie bricht sogar einen Aufenthalt bei Werfel, der in Italien an Die vierzig Tage des Musa Dagh arbeitet, frühzeitig ab, um zurück nach Wien zu reisen. Am 5. März vermeldet sie voller Stolz: »J.H. ist 38 Jahre alt und ist der FRAU bis jetzt nicht begegnet. Mich sieht er anders, und ich segne mich dafür. Er sagte: Niemals war ich einer Frau so nah. Du bist die Erste und wirst die Letzte sein.«

Das bleibt nicht unbemerkt. Hollnsteiners Auto parkt fast täglich vor dem Werfel’schen Haus auf der Hohen Warte, und wann immer Alma kann, besucht sie die Messen, die Hollnsteiner liest. Dankbar vermerkt Alma, dass ihr Beichtvater ganz im Hier und Jetzt lebe und viel Verständnis habe für ihr »sündiges Vorleben«. Aber der Priester mit dem Bubengesicht und der Nickelbrille scheint auch ansonsten eine eher freie Auslegung der katholischen Sexualmoral zu favorisieren. Er erklärt Alma, das Keuschheitsgebot gelte streng genommen nur, solange man den Talar anhabe. Und sie glaubt ihm das gerne: »Nie hat er noch das Wort Sünde ausgesprochen – und ich, muss ich päpstlicher sein als der Papst? Beide sind wir gebunden. Er an die Kirche, ich an Werfel.« Ein Gleichgewicht der Kräfte also. Sie schreibt ihm: »Ich liebe dich – ich liebe dein Wirken in der Welt und auf mich. Ich sehne mich nach dir.« Wieder einmal wird Alma Mahler-Werfel zu der Frau, die ihr Gegenüber in ihr sehen will. Wie schon bei Mahler, bei Gropius, bei Kokoschka und Werfel, so macht sie jetzt Johannes Hollnsteiner glauben, sie sei das, wonach er sich immer gesehnt hat. Und weil es auf Erden so schön ist, bittet Alma ihn, ihre Hand zu halten, wenn sie einst in den Himmel aufsteige.



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